Frankreich nach den Präsidentschaftswahlen: Jetzt also Macron

Die Republik hat gewählt. Marine Le Pen ist geschlagen, mit Emmanuel Macron zieht ein gemäßigter Politiker in den Elysée-Palast ein. Einem Messias gleich bejubeln Europas Demokraten den Nachfolger von François Hollande. Frankreich sei gerettet, so lautet der Tenor. Aber stimmt das?

Frankreich ist mit einem blauen Auge davongekommen: Im zweiten Wahlgang hat Emmanuel Macron die Rechtsextremisten Marine Le Pen aus dem Rennen um die französische Präsidentschaft geworfen. 66,1 Prozent der Wählerstimmen erzielte der 39-jährige ehemalige Investmentbanker. Ein klares Ergebnis, so möchte man meinen. Doch in Wirklichkeit hat der künftige Präsident nicht die Mehrheit der Franzosen hinter sich. Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten hat ihm die Stimme verweigert. Dazu kommen die Anhänger Mélenchons, Fillons und Hamons, die Macron nur wählten, weil sie ihn für das kleinere Übel hielten.

Wahl voller Überraschungen

Die Präsidentschaftswahlen 2017 werden als Kuriosum in die Annalen der französischen Geschichte eingehen. Was als Rennen zwischen dem Amtsinhaber Hollande und seinem bürgerlichen Herausforderer, dem Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, begann, endete mit dem Sieg eines Newcomers, der sich nie zuvor dem Wählerwillen stellen musste.

Auf der Strecke blieben derweil die beiden traditionsreichen Parteien der V. Republik: die Sozialisten und die Republikaner. Während der sozialistische Kandidat Benoît Hamon zu keiner Zeit auf einen Wahlsieg hoffen durfte, stürzte der liberal-konservative Bewerber François Fillon über Vetternwirtschaft und Korruption.

Gespaltene Nation

Zurück bleibt aber auch ein tief gespaltenes Land. Und dies in mehrfacher Hinsicht: Macron ist der Wunschkandidat des urbanen Frankreichs, der Metropolen mit ihren finanzkräftigen Erfolgsbürgern. Das ländliche Frankreich mit seinen Bauern, den vom sozialen Abstieg bedrohten Handwerkern und Krämern und den Stahl- und Minenarbeitern hat hingegen Le Pen die Stimme gegeben. Der ganze Norden der Republik, große Teile Nordfrankreichs und der Südosten haben teilweise stramm rechts gewählt.

Erfolgreiche Entdämonisierungsstrategie

Marine Le Pen ist nicht die erste Rechtsextremistin, die in die Stichwahl kam. Das gelang bereits ihrem Vater, Jean-Marie Le Pen. Er wurde 2002 erst im zweiten Wahlgang vom späteren Präsidenten Jacques Chirac besiegt. Im Unterschied zu heute formierte sich damals eine breite „republikanische Front“ gegen die Gefahr von rechts. 15 Jahre später bleiben die Massenproteste aus, die von Marine Le Pen verfolgte Strategie der „Entdämonisierung“ trägt offensichtlich Früchte.

Teil der liberalen Parteienfamilie

Innerhalb der europäischen Sozialdemokratie wird der Sieg Macrons bejubelt. Kaum jemand erinnert sich daran, dass der sozialdemokratische Kandidat eigentlich Hamon hieß – und im ersten Wahlgang mit 6,4 Prozent der Stimmen sang- und klanglos unterging. Im allgemeinen Siegestaumel ist auch in Vergessenheit geraten, dass sich Macrons Bewegung auf europäi-scher Ebene nicht den Sozialdemokraten anschloss, sondern der liberalen ALDE. En Marche ist damit die Schwesterpartei der FDP, der britischen Liberaldemokraten und der niederländischen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD).

Vertreter des „Dritten Wegs“

Was also ist sozialdemokratisch an Emmanuel Macron? Politische Beobachter beantworten die Frage mit Blick auf seine politische Herkunft: Ende der 1990er Jahre zählte Macron zur Redaktion der Zeitschrift „Esprit“, einem Kreis von Intellektuellen, die – beeinflusst vom britischen Soziologen Anthony Giddens – nach einem dritten Weg zwischen traditioneller Sozialdemokratie und Neoliberalismus suchten.

Anthony Giddens, britischer Soziologe

Der britische Soziologe Anthony Giddens veröffentlichte 1998 sein Werk „Der dritte Weg: Die Erneuerung der sozialen Demokratie“.


Anders als im Vereinigten Königreich und in Deutschland, wo es mit Tony Blair und Gerhard Schröder Vertretern des dritten Wegs gelang, an die Schalthebel der Macht zu kommen, konnte sich diese Strömung in Frankreich nicht in gleichem Maße durchsetzen.

Was also ist sozialdemokratisch an Emmanuel Macron? Politische Beobachter beantworten die Frage mit Blick auf seine politische Herkunft: Ende der 1990er Jahre zählte Macron zur Redaktion der Zeitschrift „Esprit“, einem Kreis von Intellektuellen, die – beeinflusst vom britischen Soziologen Anthony Giddens – nach einem dritten Weg zwischen traditioneller Sozialdemokratie und Neoliberalismus suchten.

Anders als im Vereinigten Königreich und in Deutschland, wo es mit Tony Blair und Gerhard Schröder Vertretern des dritten Wegs gelang, an die Schalthebel der Macht zu kommen, konnte sich diese Strömung in Frankreich nicht in gleichem Maße durchsetzen.

Das dürfte sich nun ändern: Macrons Programm weist deutliche Parallelen zur Agenda 2010 auf. So will er die Arbeitslosenversicherung reformieren, Leistungsbezieher „aktivieren“ und den Arbeitsmarkt weiter deregulieren. Parallel dazu sollen Unternehmenssteuern radikal reduziert und das allgemeine Rentenniveau abgesenkt werden. Mit Massenprotesten wird zu rechnen sein.

Dame unter Unterleib

Zur Umsetzung seiner Politik benötigt Macron parlamentarische Mehrheiten – die er bis dato nicht hat. Bildlich gesprochen ist der französische Präsident eine Dame unter Unterleib. Seine Bewegung konnte bislang nur rudimentäre organisatorische Strukturen ausbilden. Hätten sich nicht zwischenzeitlich 24 abtrünnige Abgeordnete anderer Parteien Macrons La République en marche angeschlossen, bliebe Macron bis zur Wahl ohne Repräsentanz in der Nationalversammlung. Ob der Präsident bei den Parlamentswahlen eine Mehrheit aus eigener Kraft zusammenbekommt, bleibt abzuwarten. Gelingt ihm dies nicht, dann droht dem Land eine Cohabitation, die Macrons Reformeifer deutlich ausbremsen dürfte. Es bleibt spannend.

Frank Vollmer

Fotos:
Macron Président Paris. Flickr/Creative Commons/Lorie Shaull
Anthony Giddens: By Szusi, GFDL oder CC-BY-SA-3.0/ via Wikimedia Commons